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Die Diagnose
Was ich immer schon tun wollte
Die Diagnose
Leberzirrhose, da ist nichts mehr zu machen." Der Internist schaut mich vorwurfsvoll an.
"Sie haben es halt übertrieben; jetzt haben Sie den Salat."
Ich bin schockiert!
"Von den paar Gläschen? Wie lange habe ich denn noch?"
"Wenn Sie gesund leben, vielleicht vierzehn Tage."
Ich beschließe, nicht gesund zu leben, noch einmal so richtig die Sau raus zu lassen und einen starken Abgang hinzulegen.
Von der nächsten Telefonzelle aus erledige ich ein paar wichtige Dinge. Zwei Stunden vor der Weltabgangsparty bin ich zu beschäftigt mit Vorbereitungen, um an mein bevorstehendes Ableben zu denken.
In zwei Tagen läuft meine prognostizierte Zeit ab. Da ich nicht gesund gelebt habe, könnte es bereits morgen mit mir zu Ende gehen. Ich fühle mich den Umständen entsprechend, kann aber nicht sagen, es ginge mir schlecht.
Der erste, der auf der Bildfläche erscheint ist Tätoo-Calle mit Freundin, den ich seit dreißig Jahren nicht gesehen habe. Er trägt immer noch die selbe ärmellose Weste – wie auf der letzten Party. Sein einstiger Wuschelkopf ist jetzt kahl und mit dem Tätoo einer Ratte geziert.
"Hi Alter, wie geht"s?"
Calle schüttelt sich vor Lachen; natürlich kennt jeder den Anlass der Fete.
"Meine Schnalle", glubbst Calle noch immer lachend heraus und wirft einen Blick auf seine Freundin.
"Hahai", quält die Schnalle heraus, "Suuchsieh", ergänzt sie.
Ich bin begeistert.
Nach und nach trudeln die anderen herein: Charly, der Hippie; Flädle, der Schwabe; Howie, der Junkie; Josefa, die Hure; Karla, die Aktmalerin; Rolf, der Nudelbuchautor; Greiff, mein letzter Steuerprüfer; Best, mein Anlageberater und viele mehr, bunt gemischt.
Fünf Stunden später schwappt die Party auf die Nachbarhäuser über. Die Leute vom gegenüberliegenden Asylanten- Wohnheim tanzen in ihren Nationaltrachten auf der Straße; Bierstände und Kebabbuden werden errichtet. Am Ende der Straße tragen Sanitäter die ersten Partyleichen davon. Tätoo Calle liegt besoffen im Flur und seine Schnalle Susi hockt neben ihm und kaut nervös auf ihren Haarspitzen herum. "Hahai", knatscht sie unglücklich, als sie mich sieht. Die Fete ist megacool und um Mitternacht gibt es noch den ultimativen Kick:
Ein finaler Donnerschlag reißt das Opernhaus von den Beinen und lässt eine reinigende Druckwelle durch die Straße rollen; mit mir stirbt der Opernball.
Ergriffen liegen wir uns in den Armen und weinen. Selbst Calle lässt einen sentimentalen Rülpser vernehmen. Noch während in den Straßen das Volk meinen Abgang feiert, falle ich in ein tiefes alkoholisiertes Koma.
Ich wache auf, als ein Sonderkommando der Polizei die Tür eintritt. Es ist mir egal, denn ich fühle mich hundeelend; es muss kurz vor meinem Ende sein. Ich schleppe meinen sterbenden Körper zu einem Stuhl, während die Partygäste abgeführt werden. Zwei Beamte haben ihre Maschinenpistole auf mich gerichtet.
***
Am Abend bin ich immer noch nicht gestorben und kann die gute Nachricht in der Zelle entgegennehmen. Mein Internist hat sich persönlich bemüht, mir mitzuteilen, dass im Labor die Leberproben vertauscht worden sind.
Allein, es will sich keine Freude einstellen!!
© Erich Romberg
Mai 2000
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Steppenwollf
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