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Posten zu vergeben

Es lebe die Intoleranz









Posten zu vergeben


ir haben in unserer WG den "Verein zur Förderung von Intoleranz und Ausgrenzung" gegründet. Wir sind es leid, auf die Belange unserer Mitbewohner und Nachbarn Rücksicht zu nehmen. Da ich nie wieder Chef sein will, habe ich den Posten des ersten Vorsitzenden solange einem durchgeknallten Junkie mit akademischen Ambitionen überlassen, bis qualifizierte Bewerber zur Verfügung stehen. Ich bin zum Schriftführer ohne Funktion ernannt worden. Die Posten des zweiten Vorsitzenden und des Kassenwarts sind noch zu vergeben.
Zweck des Vereins ist es, das Leben untereinander zu erleichtern, weil höfliche Rücksichtnahmen entfallen und mieses, asoziales Verhalten zur Umgangsform par excellence erhoben werden.
Es ist uns bewusst, dass mit der Erfüllung unserer Vereinsstatuten ein hohes Risiko verbunden ist. Mit jeder asozialen Agitation fordern wir das Toleranzpotential an der Peripherie unseres Einflussbereiches heraus. Selbst Vereins-intern erweist es sich als problematisch, das geforderte Maß an Intoleranz aufrecht zu erhalten, da jede Hinnahme eines miesen übergriffs den sofortigen Verdacht einer toleranten Verhaltensweise herausfordert.
Selbstverständlich wird jedes neue Mitglied sofort ausgegrenzt. Deshalb sind Ausländer, Junkies, Penner, Kriminelle, Frauen u.ä. ausdrücklich erwünscht, weil sich diese Personengruppen besonders effektiv ausgrenzen lassen. Darüber hinaus haben wir feststellen können, dass mit jeder Frau, jedem Ausländer oder ähnlichem Gesindels die Zahl der Mitglieder in unserem Verein sprunghaft ansteigt. Es zeigt sich sogar, dass innerhalb dieser Personengruppen das Intoleranz- uns Ausgrenzungspotential fast so gut ausgeprägt ist wie bei Akademikern und Studenten. Es versteht sich daher von selbst, dass der Posten des zweiten Vorsitzenden von einem Akademiker (der bekanntlich streb- und arbeitsamer ist als ein Penner oder Junkie) und der des Kassenwarts von einem Studenten (der raffsüchtiger ist als ein Krimineller oder Ausländer) belegt werden muss.
Akademiker und Studenten haben eine besonders subtile Art von Diskriminierungs- und Ausgrenzungsstrategien entwickelt: die Imagination des Gegenteils. Durch Ausübung von Toleranz und Verständnis für den o.g. Abschaum der Gesellschaft lässt sich die miese dekadente Natur der bezogenen asozialen Gesellschaftsgruppen besonders kontrastreich dokumentieren. Letzteres kann ich aus eigener Erfahrung berichten, da auch ich Akademiker bin und mich aus raffsüchtigen Gründen in ein Junkieloch der Krisenhilfe einer nicht genannten Stadt eingeschlichen habe. Meiner subtilen Toleranz haben diese armen verkifften Penner nichts entgegen zu setzen. Dennoch musste ich das Angebot für den ersten oder zweiten Vorsitz in den VFIA ablehnen, da ich davon überzeugt bin, dass es im Auditorium mindestens einen Kandidaten gibt, der für dieses hinterhältige miese Schwein hier auf dem Podium sein heuchlerisches Verständnis aufbringt und somit für den angebotenen Posten weitaus qualifizierter ist als ich.


© Erich Romberg
Mai 2000
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