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Der Vorsatz
Zum Teufel mit der Vernunft
Der Vorsatz
So kann das mit mir nicht weitergehen!
Ich bin eigentlich ein rationaler Mensch, der seine Maxime an der Vernunft orientiert. Als Physiker habe ich analytisches und kausales Denken gelernt.
Doch in der letzten Zeit ist alles ein wenig aus den Fugen geraten. Wenn ich am frühen Morgen gegen 11.00 Uhr aufwache, mit einem Gefühl im Kopf, als hätten Heerscharen von Spinnen mein Gehirn in ein dichtes Knäuel verzurrt, wenn ich Unterhose und Socken als Einheit in einem halbleeren Weinkrug mit kalifornischem Roten eingeweicht vorfinde, dann ist das weder logisch noch anderweitig vernünftig. Dunkel erinnerte ich mich noch daran, dass ich gestern irgend einem Bekloppten in einem halbseidenen Bistro die Ohren vollgesülzt hatte. Wie war das möglich, dass das, was mir gestern noch so vernünftig vorgekommen war, heute so stark von meinem Verdrängungsmechanismus bearbeitet wurde. Allein was mich tröstete war die Gewissheit, dass dieser Primat mit aufstrebenden Ambitionen voller Andacht an meinen Lippen gehangen hatte und den Edelstuss, den mein abstürzendes Hirn noch zum Output gebracht hat, für Wissenschaft aus erster Hand gehalten hatte. Na ja, unter den Hirnlosen in einem Schicki Micky Etablissement ist der Gehirnamputierte halt immer noch König.
Nach der zweiten Dröhnung schwarzen arabischen Moccas ließ irgendetwas in mir das Verlangen nach dem Ursprünglichen meiner Existenz heranreifen; nach dem dritten Moccaschuss war mir klar, dass dieses Urwesen in mir die Vernunft ist.
Ich war nun bereit, den Schweinehund in mir an den Eiern zu fassen und herauszureißen. Gegen 16.00 Uhr fühlte ich mich stark genug und schickte mich an, die Alkoholvorräte zu vernichten. Ich ignorierte den Magenkrampf, als ich den irischen Middelton in das Waschbecken goss. Auch der Herzattacken wurde ich Herr, als ich acht Flaschen besten Zinfandels auf die gleiche Reise schickte. All diese Angriffe auf Leib und Leben waren nichts gegen die Befriedigung, die das Gefühl der Wiedererlangung der Vernunft in mir auslöste.
Am nächsten Morgen, dem ersten alkoholfreien seit Jahren, fühlte ich mich per Definitionem großartig. Ich verdeutlichte mir, wie sehr ich doch das Empfinden des unbenebelten Aufwachens am Morgen vermisst hatte. Der nächste Schritt war, jetzt mein Leben und mein Handeln auf die Ebene rationalen und vernünftigen Verhaltens zurückzuführen.
Die erste Aufgabe erwartete mich bereits beim Frühstückzubereiten. In meiner Küche fristete schon lange ein Eierkocher sein Dasein, der durch den Verlust des Wassermessröhrchens praktisch unbrauchbar geworden war. Meine zurückerlangte Fähigkeit für rationales Denken ließ objektiv zwei Möglichkeiten zu. Auf dem Müll damit oder neu eichen.
Ersteres verwarf ich sowohl aus ökologischen wie aus ökonomischen Gründen. Mein Physikstudium hatte mich mir den Voraussetzungen ausgestattet, einen Eierkocher perfekt zu eichen. Ich beschloss also, den Eierkocher in einer erweiterten Eichprozedur für die Größenklassen A bis E in der Mengenvariation 1 bis 6 Eier für die Garungszustände weich, mittel und hart neu zu kalibrieren. Mir war klar, dass die größte Sensibilität für den Kochzustand mittel zu erwarten war, weil für "hart" mit einer gewissen Idealzeit und einem Delta plus keine merkliche Qualitätsänderung zu erwarten ist. Ebenso würde ich mich "weich" sukzessive durch die Ermittelung des Idealpunktes mittelhart nähern können. Ich entschied mich also für eine zweiseitige Iteration dem äußerst labilen Zustand mittelhart zu nähern.
Ich besorgte also für die erste Versuchsreihe 300 Eier und eine Präzisionswaage. Mir standen 60 Eier je Größenklasse zur Verfügung. Ich entschied willkürlich, mir zunächst mit ein paar Orientierungsmessungen in einer 6-Eier-Größeklasse-A-Vorversuchsreihe eine Startposition zu erarbeiten. Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten der Eierkochereichung eingehen. Ich konnte bereits nach einem Versuchstag absehen, dass ich meine tägliche Versuchsmenge auf 500 Eier erhöhen musste. In einer Rekordzeit von nur 15 Tagen habe ich 7300 Eier unterschiedlicher Härtegrade erstellt. Das Ergebnis der Versuche war die Ableitung einer universellen Eierkochfunktion für meinen Eierkocher.
Ich brauche nur noch die Anzahl der zuzubereitenden Eier, ihre Größenklasse und den gewünschten Härtegrad einzugeben, dann erhalte ich das erforderliche Wasservolumen.
Ich hatte diese Eierkocherformel als C-Programm auf eine CD gebrannt und dieses Programm der Eierkocherfirma zusammen mit meinen Versuchsprotokollen eingereicht. Die Mitteilung der Firma, dass dieses Modell bereits seit mehr als einem Jahr nicht mehr hergestellt wird, hat mir einen herben Rückschlag versetzt, weil die Ergebnisse so ohne weiteres nicht auf ein anderes Eierkochermodell übertragbar sind.
Unter diesem Gesichtspunkt fand ich die Tatsache, dass meine Freundin die Beziehung zu mir gelöst hatte, weil sie kein Verständnis für meine Untersuchungen aufbringen konnte, nicht mehr banal.
Ich besorgte sechs Flaschen 30jährigen Middelton und 60 Flaschen besten Zinfandels neben ein paar Fässchen Bier und veranstaltete eine Vernunftbeisetzungsparty. Die sechs 80 Liter Wannen Eiersalat, die zum Snack gereicht wurden, waren ein guter Anfang.
© Erich Romberg
Oktober 2000
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